Ich habe lange überlegt, ob ich DAS schreiben sollte.
Oder lieber doch nicht?
Vielleicht ist es ja in meinem depressiven Hirn einfach nur ein manischer Ausreißer?
Vielleicht entwickle ich mich nun zu manisch-depressiv?
ODER es stimmt tatsächlich, dass ich die Ursache und Ausweg aus meinen Kopfchaos gefunden habe.
Der Knaller dazu war letzten Sonntag die Predigt beim Gottesdienst.
Es ging um Dankbarkeit.
Der Prediger begann damit:
5:30 Uhr klingelt der Wecker und er sieht seine Frau neben sich und ist dankbar. Dankbar, dass sie immer noch da ist, es noch mit ihm aushält.
Die andere Variante:
5:30 Uhr klingelt der Wecker und er sieht seine Frau neben sich und denkt: sie ist jetzt über 40 und die Wechseljahre werden nicht mehr lange auf sich warten lassen und damit die Zipperlein. Vielleicht sollte er sich nach etwas Jüngeren umsehen …
Gleiche Situation, unterschiedliche Einstellung dazu.
Und mir fiel es wie Schuppen von den Augen.
Ja, genauso war ich!
Ich suchte in jeder Situation immer das Positive, das Gute.
Wenn mir zum Beispiel ein Bus vor der Nase weg fuhr und ich 20 Minuten auf den nächsten Warten musste, war ich nicht sauer, sondern dachte, vielleicht war ja jemand in dem Bus, mit dem ich ein Problem hatte oder vielleicht kein Sitzplatz mehr frei oder sonstwas.
Ich musste mir es nicht jedesmal vornehmen, es geschah automatisch.
Das macht ein gutes Gefühl, man ist zufrieden und ausgeglichen.
Und wo ist das alles hin?
Wer meine „about-Seite“ gelesen hat, weiß, dass ich drei Jahre mit einem Mann zusammengelebt habe, dass alles andere als gut ausging.
Und dort ist diese positive dankbare Seite erstickt.
Immer, wenn ich so dachte und es sagte, dann wurde er wütend, aggressiv und fing an zu toben.
Ich würde ihm in den Rücken fallen, ich würde für „DIE“ sein, wäre genauso schlimm wie „DIE“ mit dem Ergebnis, dass ich dann irgendwo heulend in der Ecke saß.
Unbemerkt habe ich mir diese Art zu denken, abtrainiert.
Genauso mein Glauben.
Ich bin ein gläubiger Mensch.
Ich hatte eine Standleitung nach oben.
Nein, ich war kein regelmäßiger Kirchgänger, aber ich brauche keine „Kirche“ für ein gottgefälliges Leben.
Ich hatte einen bedingungslosen Glauben.
Jeden Morgen betete ich zu Gott, er möge den Tag in seine Hände nehmen, Kummer und Schmerz von mir fern halten. Er möge diesen Tag genau für mich planen und so werde ich dann alles was der Tag bringen möge, es so annehmen als käme es von ihm. Egal was. Auch das, was ich vielleicht als negativ empfinde, aber aus Gottes Sicht Sinn macht, ich aber noch nicht verstehen kann.
Ich weiß, dass jetzt so mancher die Stirn runzelt.
Kinderglauben.
Vielleicht.
Aber für mich war das Vertrauen zu Gott grenzenlos.
Wie gesagt, ich hatte eine Standleitung nach oben, spürte wie er mich führte, wie er mir antwortete.
Das war dann weg.
Ich habe Gott nicht mehr spüren können.
Als wäre die Leitung gekappt.
Funkstille.
Stattdessen aggressive, wütende und lautstarke Worte, die mir um die Ohren flogen: „Mein Gott wäre ein Arschloch, wenn er mich nicht endlich gesundmachen würde (habe ja dieses Sjögren Syndrom). Und überhaupt fehle es mir an Nächstenliebe, da würde mir Gott sowieso nicht helfen.
Nächstenliebe bestand bei ihm darin, große Partys zu feiern mit ganz viel Alkohol. Dann tut man ja was für seine Mitmenschen.
Anderen Menschen durch seine handwerklichen Fähigkeiten zu helfen, das zählte nicht unter Nächstenliebe, da hielt er die Hand auf und verlangte einen Stundenlohn.
Also Funkstille für mich nach oben.
Und der dritte Punkt, der mir klar wurde:
Durch meine Grunderkrankung habe ich u.a. eine ausgeprägte Leistungsinsuffizienz.
Aber ich war zufrieden mit mir.
Solange ich mich innerhalb meiner Grenzen bewegte, war alles gut.
Ich habe mich so angenommen und fand mich okay.
Lebte einfach so wie es zu mir passte.
Bis damals 2013.
Von da ab zählte nur noch Leistung. Ich spürte sehr schnell, wo meine Grenzen waren und bin sooft darüber hinausgegangen, bin immer wieder erschöpft zusammengebrochen und als „Spielverderber“ betitelt worden.
Letztendlich habe ich mich dann auch nur noch über meine körperliche Leistung definiert.
Also irgendwie Ausschuss, den niemand haben will.
Und diese drei Punkte, die Dankbarkeit, der Glauben und die Wertlosigkeit haben mich so tief runter gezogen, dass ich diese schweren Depressionen entwickelt habe.
Und wer jetzt den Kopf schüttelt und sich fragt, warum ich das mit mir habe machen lassen und ich nicht gleich schreiend weggelaufen bin, kann ich nur sagen, es war ein Prozess.
Zu Beginn haben wir uns sehr gut verstanden, ja hatten sogar Gemeinsamkeiten. Es hat sich unbemerkt eingeschlichen. Und da ich ein Mensch bin, der die Fehler immer zuerst bei sich sucht, machte es nicht besser.
Und natürlich muss ich auch sagen, Mister X hatte natürlich auch viele gute, liebeswerte Seiten. Klar, sonst wäre ich auch nicht dorthin gezogen.
Und etwas habe ich auch verstanden. Ich habe das Gefühl dafür bekommen, warum Frauen, die von ihren Männern gedemütigt und geschlagen werden, deshalb in ein Frauenhaus flüchten, warum diese Frauen zurückkehren zu diesen aggressiven Männern. Warum es so schwer fällt, sich zu lösen.
Ich verstehe es jetzt.
Jetzt habe ich soviel geschrieben, wie ich mal war und was alles nicht mehr ist. Es ist genau diese Erkenntnis. Nämlich, dort will wieder hin! Jetzt brüllt mich keiner mehr an, ich solle gefälligst die schweren Sachen selbst tragen, ich habe ja keine Pflegestufe. Oder das die Frau nur die Gehilfin des Mannes ist, das steht schließlich auch in meiner Bibel.
Das ist nun vorbei.
Ich möchte wieder beginnen, in der Bibel zu lesen, meinen Tag Gott übergeben, versuchen wieder das Positive zu sehen und dafür zu danken und mich letzendlich wieder so annehmen wie ich bin mit all meinen Unzulänglichkeiten.
Am Dienstag habe ich den nächsten Therapie-Termin, dann will ich das ansprechen und ich glaube, der Therapeut wird mir dabei helfen.
Hm. Was soll ich noch weiter dazu sagen. Sehe ich da zu optimistisch? Werde ich morgen wieder zweifelnd in meiner Sofaecke sitzen, keine Kraft haben und mich als das überflüssigste Wesen des Universums empfinden. Etwas, was allen höchstens allen zur Last fällt und am liebsten tot wäre.
Für heute aber ist der Tag vorüber und ich verabschiede mich mit einem Blick aus meinem Wohnzimmer.

Und nun gehe schlafen. Ich habe es nämlich tatsächlich geschafft, dass seit ein paar Tagen mein Wecker 6 Uhr klingelt und ich spätestens eine halbe Stunde später wirklich aufstehe. Wow!

Gefällt mir:
Gefällt mir Wird geladen...